Wenn Du an das Klischee eines Autors oder einer Autorin denkst, fällt Dir vielleicht das Bild ein, dass er oder sie weltabgewandt im stillen Kämmerlein sitzt. Tatsächlich findet die Arbeit an Texten vorwiegend alleine statt. Es ist daher naheliegend, dass sich mehr introvertierte Menschen zum Schreiben hingezogen fühlen. Die meisten sind also das genaue Gegenteil einer Rampensau.
Sich selbst ins Scheinwerferlicht zu stellen, war früher auch nicht erforderlich. Niemand wollte wissen, wie Schreibende aussehen. Bei Drehbuch- oder Hörspielautoren ist das auch heute noch so. Bei Roman- und bei Sachbuchautorinnen hat sich das jedoch geändert. Verlage gehen heute ganz selbstverständlich davon aus, dass Autoren und Autorinnen ihre Bücher bei Lesungen präsentieren.
Ich erinnere mich noch genau an das 1. Semester des Lehrgangs Literarisches Schreiben, wo uns Marlen Schachinger mitgeteilt hat, dass es am Ende des Semesters eine Lesung geben würde. Die Vorstellung, einen meiner Texte öffentlich vorzutragen, hat bei mir sofort Panik ausgelöst. So ging es einigen anderen auch. Einige sagten, dass sie zu diesem Schritt noch nicht bereit seien und haben nach einem Semester den Lehrgang verlassen.
Nachdem ich mich vom ersten Schock erholt hatte, begann ich darüber nachzudenken. Ich hatte mich ja nicht grundlos zum Lehrgang angemeldet. Ich wollte ja beim Schreiben weiter kommen und wenn Marlen der Ansicht war, dass bereits zu einem so frühen Zeitpunkt eine Lesung notwendig war, dann gab es dafür gute Gründe. Nach einer Weile fiel mir ein, dass ich eine Freundin um Hilfe bitten könnte. Sie ist Schauspielerin, Schauspiellehrerin und bietet Sprech- und Stimmtraining an.
Etliche Jahre davor, während meiner Drehbuchausbildung, war ich bei einer anderen Freundin in Vorarlberg zu Besuch. Sie moderierte damals ein Mal pro Woche eine Sendung bei einem kleinen Privatsender. Sie nahm mich während meines Urlaubs ins Studio mit. Spontan fragte sie mich, ob ich Lust hätte, ein Gedicht vorzulesen. Ohne viel darüber nachzudenken, sagte ich ja. Wenig später war ich auf Sendung. In diesem Moment, wo bis zu 30.000 Menschen zuhören konnten, hatte ich einen gigantischen Adrenalin-Kick. Dieses Erlebnis hat sich bei mir emotional dermaßen eingeprägt, dass ich das wieder erleben wollte, allerdings wollte ich vorbereitet sein. Meine Recherchen führten mich zu einer pensionierten Ö1-Radiosprecherin, bei der ich Privatunterricht genommen und sprechtechnische Grundlagen erlernt hatte.
Für meinen Auffrischungsunterricht hatte das frühere Training Vor- und Nachteile. Der Vorteil war, dass ich bereits Erfahrungen mitbrachte. Der Nachteil war, dass der Radio-Nachrichtenstil, den ich mir während meines ersten Sprechtechnik-Unterrichts durch die Moderatorin antrainiert hatte, bei einer literarischen Lesung unangebracht war. Meine Sprechtrainer-Freundin war sehr geduldig und ich übte fleißig. Dann gab es noch eine Barriere im Kopf zu beseitigen. Fremde Texte zu lesen war eine Sache, einen eigenen zu lesen konnte ich mir nicht richtig vorstellen. Meine Freundin redete mir gut zu und trotz meines riesigen Lampenfiebers lief die erste Lesung zum Glück einwandfrei.
Wenn ich heute daran zurückdenke muss ich lächeln. Im Gegensatz zu damals freue ich mich über jede Gelegenheit zu einer Lesung. Das hat nicht nur mit dem Sprechtechnik-Unterricht zu tun, sondern weil ich jahrelang gemeinsam mit meinen Kollegen und Kolleginnen der Autorengruppen Textmotor öffentliche Lesungen gegeben habe. Wir haben uns bei der Moderation des Lesungsabends abgewechselt und waren neben unserem Stammlokal, dem Café Jelinek in Wien, auch in Graz und bei der Buchmesse in Leipzig eingeladen.
Falls Du jemals über eine Veröffentlichung Deiner (literarischen) Texte nachdenkst, solltest Du Dich bereits zu Beginn mit dem Gedanken anfreunden, dass Du Auszüge daraus bei Lesungen vorstellen wirst. Um Deinen Zuhörern und Zuhörerinnen ein angenehmes Erlebnis zu bieten, empfehle ich Dir, Dich ebenfalls von einer kundigen Person sprechtechnisch unterrichten zu lassen. Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, ob Autorinnen sprechen können müssen, ist somit ja. Nutze jede Gelegenheit, Deine Texte öffentlich zu präsentieren und dich mit Lesenden auszutauschen. Du wirst davon enorm profitieren.
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